Versicherungen

Das Kündigungsschreiben für die Hausratsversicherung liegt im eigenen Postfach, wartet auf Druck im Kopierladen. Erneut lege ich ein paar kleine Drucker für die Heimnutzung in den Amazon-Warenkorb. Bestimmte Dinge werde ich mir nie leisten. Neben dem Drucker liegt noch ein neues Paar Boulderschuhe drin, die Vision von sportlichem und gesellschaftlichem Erfolg.

Vorher habe ich noch kurz mit dem Handytaschenrechner kalkuliert, ob sich die Kündigung denn lohnt, wenn ich dafür von 10 auf 5% Bündelnachlass heruntergestuft werde. 
Keine Angst, Kleiner Prinz, zu den großen Leuten gehöre ich deswegen immer noch nicht.

Die andere Versicherung wird mit mir zu tun haben, weil da aktuell ein offener Schadenfall vorliegt. A. kümmert sich darum, A. der Anwalt, A. der Freund. Ich muss in der Reihenfolge aufpassen, hoffe darauf, dass gebürtige Deutsche das besser können, instinktiver, als eine eingebürgerte. 

Seit Tagen lässt die Firma nichts hören, es liegt nichts in der Post, keine außerordentliche Kündigung, keine Vorladung zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen, kein verspäteter Liebesbrief von S. Auf meine WhatsApp-Nachricht Stille wie immer. Diesmal eine Genugtuung für mich, denn es unterstreicht die Endgültigkeit meiner Handlung. Sie ist nämlich selten endgültig und ich finde es immer irgendwie geil, wenn sie es mal ist. 

D. antwortet mit einem Wort: „arbeiten“. Ich habe ihn zum zweiten Mal schon zurückgelassen. Das kann man so sehen. 
Man kann es aber auch anders sehen, nämlich dass der Balken der Emotionen einfach bis oben voll ist - genau wie ich es damals am Berliner Hauptbahnhof S. versucht hatte zu erklären. Es gibt so viel Negatives und so viel Schweres, dass nichts mehr drauf reinpasst. In welchem Buch stand es nochmals so schön: „Die Schmerzen. Sie erfordern Konzentration.“

Deshalb streut mein Herz nur so ziellos jetzt Liebe um sich herum, erfreut sich an Dingen, am richtigen Zeitpunkt, in einem unbekannten Kaffee zu sitzen, um fünf Minuten später in der vollen Sonne getaucht zu werden, an der Farbe des Bibliothekenausweises, an den paralelen Strichen zwischen den weißen Küchenfliesen, wo sie ein Spot seitlich hell erleuchtet. An Tageszeiten, an Stille, an den unzähligen neuen Straßen, an dem regen Verkehr, an der monumentalen Größe der Dinge, an den Entfernungen, an Schals, an meinem auf der einen Seite gerissenen Schuh in Herbstfarben, den ich tragen will, bis die Sohle abfällt - oder bis es einfach zu kalt für nackte Knöchel wird. 

Für Menschen müsste viel mehr da sein, viel geordneter, viel zielgerichteter, erwiderter, es muss abgeschätzt und angemessen sein, rechtzeitig, präzise dosiert, fokussiert, ungeteilt, echt. So viele Voraussetzungen, damit die Empfänger sich nicht gekränkt fühlen, nicht wertgeschätzt, nicht ernst genommen, nicht vermisst, nicht unterstützt, nicht informiert, nicht mit einbezogen. Einen kaputten Schuh zu lieben erweist sich gerade als so viel leichter und natürlicher - denn der Schuh enthält mich und meine Entscheidungen und mein Wesen und meinen Stand in dieser Welt und meinen Fußgeruch und mein Geschmack für Kleidung. Er will nichts von mir, ich will nichts von mir, ich bin so lange geirrt, um Gründe zu erfinden, warum ich mich lieben sollte, aber ich will, ich brauche das alles nicht, ich benenne keine Regeln mehr und habe keine Voraussetzungen, „ich habe mich so lieb bei allem, was ich tue“ (hat Panagiota Patridou mal in einer Talkshow gesagt).

Mehr als mich jemand anders im Moment lieb haben kann; mehr als ich jemand anderen im Moment lieb haben könnte. 

Deshalb lasse ich die wenigen Nachrichten unbeantwortet, auf lakonische Ein-Wort-Rückmeldungen habe ich nichts zu erwidern. Ich muss die Liebe nicht permanent beweisen und brauche nicht immer da zu sein, „irgendwo anwesend zu sein, einzig und allein, um nicht zu fehlen“.



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Kaffeemaschine

Trödelmarkt